Toyama Ryu Battojutsu
Tameshigiri

In den früheren Jahrhunderten der japanischen Geschichte waren Schmiede und Schwertpolierer, Hersteller von Schwertscheiden und Lackierer sehr spezialisierte Berufe. Es brauchte eine gute Zusammenarbeit verschiedenster Handwerker, um ein Schwert fertigzustellen.

Genauso speziell war der Test eines geschmiedeten Schwertes, ein Samurai benutzte zwar sein Schwert im Kampf, aber testen durfte es nicht jeder. Die Tests frisch geschmiedeter Katana - natürlich nur der besonders guten - wurden an lebenden oder auch toten Personen durchgeführt, beispielsweise an verurteilten Kriminellen.

Jedenfalls gehörte das Schneiden als Test nicht zum Kanon der Schwertschulen. Um Unterschiede in der Qualität der Schwerter festzustellen, mußten die Tester gleiche Qualität haben.

Heute ist das grundlegend anders. Das Schwert hat keine Bedeutung mehr für den Kampf, und beim Tameshigiri wird nicht in erster Linie das Schwert, sondern der Übende getestet.

Die Japaner üben mit dicken Strohmatten, Tatami, die als Oberschicht für den Fußbodenbelag dienen. Diese Matten werden einen Tag gewässert und dann eine Stunde getrocknet, dann haben sie eine gute Konsistenz zum Schneiden. Trockene Matten sind ziemlich widerspenstig!

Billiger ist es, Strandmatten zu schneiden, sie sind aber dünner und kürzer. Leicht zu schneiden, könnte man denken, das ist auch so. Dennoch scheitert so mancher auch an einer Strandmatte, und wenn das Schwert nicht flexibel genug ist kann es sogar verbiegen wenn das Schwert verkantet auftrifft. Da zeigt sich schnell, daß Tameshigiri interessante Lernmöglichkeiten bietet.

Beim Schneiden ist in erster Linie darauf zu achten, daß ein Katana keine Axt ist. Sogar in Filmen aus Asien sieht man immer wieder, daß einfach nur in die Matte gehackt wird. Ein Schwert schneidet aber, wie ein Messer, es muß also eine Zugbewegung stattfinden. Die Kombination von Zugbewegung und schwingender Kreisbewegung ergibt dann einen funktionierenden Schnitt, unterstützt durch die gebogene Form des Katana, die den Schnittwinkel erhöht. Stärker gebogene Katana schneiden daher auch leichter.

Ein zweites Element ist der Druck, der Schwung, den man ausübt. Beim Holzhacken muß man Kraft anwenden, damit das Holz gespalten wird, und man muß die Axt gut festhalten. Beim Schwertschnitt ist das anders. Man beschleunigt das Schwert und läßt es dann entspannt durch die Tatami gleiten. Jede Anspannung in den Händen wirkt sich auf den Schnitt aus, angespannte Hände ergeben oft wellige oder gebogene Schnitte. Hier ist also, wie auch bei der Iaido Kata, eine Einheit von Kraft und Loslassen angesagt - nur nicht ganz loslassen, sonst fliegt das Schwert weg!

Der nächste Punkt ist der seitliche Schnittwinkel. Schwerter mit Bohi (Rinne) geben einen Ton von sich, wenn sie in der Luft bewegt werden, aber nur, wenn sie nicht verkantet geführt werden. Je flacher diese Rinne gearbeitet ist, desto präziser muß das Schwert geführt werden. Kriegsschwerter hatten diese Rinne nicht, da sie das Schlaggewicht und die Stabilität des Schwertes reduziert. Tameshigiri kann man auch mit Rinne machen, aber am ehesten mit Damaszener- oder laminierten Klingen. Trifft das Schwert verkantet auf die Strohmatte, wird diese meist umgeworfen oder nur angehackt.

Ein richtiger Schnitt durch eine einfache Matte ist für den Ausübenden nicht spürbar, selbst wenn das Schwert kaum festgehalten wird. Es fühlt sich an wie das Schneiden von Luft, kein Widerstand!

Nun zur Toyama Ryu, einer recht neuen Stilrichtung, deren Tameshigiri System gut ausgearbeitet ist, aufgeteilt in drei Schwierigkeitsstufen.

Mit der Verwestlichung Japans im 19. Jhd. hatte man die Katana der Samurai im Krieg durch Säbel ersetzt, die sich aber als weniger effektiv erwiesen. Für das Militär wurde daher das Schwert wieder aufgewertet. Aus dem Versuch, die den meisten Japanern mittlerweile fremde Technik des Schwertkampfes dem Militär wieder nahezubringen, wurde um 1925 der Toyama Ryu entwickelt, ein Militär-Stil (battojutsu) ohne sitzende Formen, mit nur wenigen Kata und ausführlichen Schnittübungen. Dieses Schnittsystem läßt sich sinnvoll in den Weg des Iaido integrieren, um die geistigen Aspekte des -do auch zu erden: Hier wird ein physischer Vorgang erlebbar.

Die erste Stufe der Kata - chuden - umfaßt vier Formen. Man beginnt mit kesa giri, der einfachsten und sichersten Form, durch eine Matte zu schneiden. Vier Schnitte jeweils von rechts und links nach schräg unten. In der zweiten Kata wird gyaku kesa giri dazugenommen, die Schnitte kommen dann abwechselnd von unten und von oben. Das ist schwieriger, weil die Matte beim Schnitt vom Ständer gehoben werden kann, es gibt nach oben wesentlich weniger Widerstand. Die dritte Form hat drei kesa giri, einen gyaku kesa giri und einen yoko giri, einen waagerechten Schnitt. Waagerecht läßt sich eine Matte noch schwerer schneiden, da muß der Winkel noch besser stimmen und man braucht mehr Kraft. Außerdem müssen die Schnitte so eng beieinander liegen, daß man die Matte fünfmal schneiden kann. Bei der vierten Form muß man sogar sechs dieser Schnitte an einer Matte machen.

Die mittlere Stufe der Tameshigiri Formen besteht aus sieben Übungen. Die erste Aufgabe ist, mehrere ineinander gewickelte Tatami mit einem Schrägschnitt nach unten zu schneiden. Die zweite Aufgabe besteht darin, mehrere nebeneinander aufgestellte Tatami mit einem Schrägschnitt abwärts zu durchschneiden. Die Anzahl der Matten entscheidet über die Schwierigkeit. Dritte Aufgabe ist, mehrere übereinander gelegte Tatami zu schneiden. Dann wird es schwieriger: Die vierte Form hat zwei Schnitte, die vorher ein Schnitt waren. Dh. der erste Schnitt geht von oben rechts nach links unten und von links unten nach rechts oben ohne Innehalten, der zweite Schnitt umgekehrt. Die nächste Form hat drei Schnitte in einem ohne Anhalten, die nächste dasselbe in umgekehrter Richtung. Die letzte Form dieser Reihe hat zwei nebeneinanderstehende Tatami, die erst jeweils einzeln einen Schrägschnitt bekommen und beide zusammen einen waagerechten Schnitt. Dann gibt es noch die okuden Formen, bei denen z.B. erst unten und dann der schon geschnittene Teil oben noch einmal geschnitten werden muß, bevor er heruntergefallen ist. Da muß man ziemlich sehr schnell sein! Weiterhin viele waagerechte Schnitte und Schnitte im Gehen aus der Schwertscheide ziehend.

Im Video sieht man manchmal Koreaner, die dünnes Papier schneiden oder Tatami, ohne daß etwas wackelt: die Koreaner haben ganz andere Schwerter, die speziell auf so dünne Ziele ausgelegt sind. Die Schwerter selber sind sehr dünn und haben entsprechende Schneiden, die aber dann wiederum nicht für härtere Ziele geeignet sind. Je nachdem, was man schneidet, wählt man das Schwert und seine Klingengeometrie. Koreanische Schwerter für Papier und Tatami, japanische/chinesische leichte Katana für Tatami und Bambus, und kräftige Katana ohne Rinne für dicke Matten und Metallgegenstände (Eimer etc.).

Noch etwas zu den Schwertern selbst: Japanische Katana sind recht teuer, im vier- bis fünfstelligen Eurobereich zu haben. Das bedeutet aber noch nicht, daß sie gut sind, auch dort gibt es extreme Qualitätsunterschiede. In Deutschland geschmiedete Katana können wohl sehr gut sein, liegen dann aber auf demselben Preisniveau. Chinesische Katana dagegen können - wenn man Zeit hat und Glück bei der Suche - sehr günstig zu haben sein und eine hohe Qualität aufweisen.

Man kann selbst noch ein paar Bonbons zu diesen Formen dazu üben: Z.B. das Schneiden von trockenen Matten. Eine große Herausforderung! Dann das Schneiden im Rahmen einer Kata-Form aus der Schwertscheide heraus. Weiterhin das Schneiden von Matten, die ohne Befestigungsstab lose auf dem Ständer stehen. Usw.

Tameshigiri ist bei uns ein Teil des Iaido Unterrichts. Es ergänzt die Erfahrungen, die man in den Einzel- und Partnerübungen macht. Es wird an speziellen Lehrgängen unterrichtet.