Muso Shinden Ryu Iaido

Der Schwertweg des Muso Shinden Ryu, der „Schule des visionär überlieferten Geistes“, hat sich über Jahrhunderte zu dem Stil entwickelt, den wir heute kennen und üben.

Begonnen wird mit „Shoden“, der Eingangsstufe. Sie besteht aus zwölf Formen (Kata), einer im Gehen und elf im Knien (Seiza). Nakayama Hakudo (1873 - 1958) prägte die heutige Form. Sie geht auf Hayashi Morimasa (1661 - 1732) zurück, der die elf sitzenden Formen von Ōmori Masamitsu (1546–1621) übernahm. So heißt diese erste Stufe auch Omori Ryu - Schule des Omori.

Diese erste Stufe des Schwertrainings im Knien ist durch die Situation des damaligen Japan geprägt, in der die Bedeutung der Kampfkunst der schwerttragenden Samurai zurückgedrängt wurde. Daher der rituelle Sitz im Knien, der auch bei der Teezeremonie und der Meditation genutzt wurde. Es ist zwar für gesunde Menschen relativ einfach, aus dem Knien heraus das Schwert zu ziehen, für einen realen Kampf aber ziemlich untauglich, da man sich nicht rückwärts bewegen kann. Die älteren Teile des Muso Shinden Ryu nutzen daher eine andere Sitzposition.

Die starke Standardisierung dieser ersten Stufe macht zum Glück einen Einstieg in die „koryu“, die alte Schule des Schwertes, recht einfach. Als Sitzhaltung ist nur der Kniesitz gefragt, und von den zwölf Formen befassen sich sechs mit dem Grundthema „waagerechter Schnitt - senkrechter Schnitt“ in Variationen.

Allerdings bedeutet der Beginn im Knien nicht, daß man in der Ausübung des Kampfablaufes nicht doch aufsteht - jede Form beginnt und endet im Stehen, der Kampf selber aber im Knien.

Das Ziehen des Schwertes erfolgt in drei Phasen - die Absicht des Gegners erkennen und das Schwert ergreifen - den Gegner bedrohen und das Schwert ziehen - den Schnitt machen, bevor der Gegner schneidet.

Zu den Formen der ersten Stufe gehören aber auch sehr spannende Besonderheiten. Beispielsweise wird das Schwertziehen beim rituellen Gruß geübt, was eine Verbindung zu den höheren Kata herstellt.

Weiterhin ist eine Form dabei, die nie öffentlich vorgeführt werden soll, „Junto“, die Hilfe beim Seppuku (Harakiri, Bauchschnitt), dem rituellen Selbstmord eines adligen Kämpfers. Hier geht es gar nicht um einen Kampf, sondern um eine rituell und praktisch bedingte Beihilfe zum Tod. Allerdings kann man die Entstehung dieser Formen nur begreifen, wenn man sich auch ein wenig mit der vergangenen japanischen Kultur beschäftigt und der Denkweise der Menschen, die diese Kampfkunst entwickelt haben.

Sehr komplexe Formen sind „Ryuto“, das „fließende Schwert“, und „Gyakuto“, das „gegenseitige Schwert“. Bei ihnen sind schon verschiedene Ausführungen möglich, die ein Experimentieren mit unterschiedlicher Schwertführung und Körperbewegung erlauben, wie es das Seitei Iaido nicht gestattet. Aber - man übt Muso Shinden Ryu nicht, um Prüfungen zu bestehen, das gibt eine größere (geistige) Bewegungsfreiheit und macht auch die Einstiegsstufe schon sehr spannend.

Die mittlere Stufe „Chuden“ ist eine andere Stilrichtung, das „Hasegawa Eishin Ryu“. Um 1730 wurde dieser Stil von Hasegawa Eishin entwickelt. Es sind neun Formen, die im Sitzen beginnen, und zwar im „Tate oder Iai-Hiza“, einer Sitzhaltung, bei der nur das linke Knie abgelegt ist, während der rechte Fuß aufgestellt bleibt. Eine zehnte Form im Knien wurde erst im 20.Jhd. dazugefügt.

Alle diese Formen stellen einen Nahkampf dar, so eng, daß teilweise der erste Schritt zurück gemacht werden muß, damit überhaupt Platz für einen Schnitt entsteht. Diese Bewegungen sind aus dem Knien gar nicht möglich.

Weiterhin enden einige dieser Formen damit, daß man einen kampfunfähig gemachten Gegner, der am Boden liegt, tötet. Will man dies nicht nur als Form machen, sondern begreifen, was das für uns heute bedeuten kann, ist einiges an geistiger Arbeit zu investieren.

Beim Hasegawa Eishin Ryu empfiehlt es sich auch, die Formen mit einem realen „Gegner“ durchzuspielen, damit man genau begreift, warum und wie eine bestimmte Bewegung so oder anders abläuft.

Sind die Shoden Übungen noch eher gemessen von der Geschwindigkeit her, ist die Chuden Stufe etwas schneller. Der Gegner bekommt weniger Chancen, selbst einen Angriff auszuführen.

Die dritte Stufe des Muso Shinden Ryu Iaido ist „Okuden“, die Übermittlung der inneren Tiefe. Im Okuden, dem ältesten Bereich, ist also für die schon sehr geübten und fortgeschrittenen Schüler der Kern der gesamten Lehre zu finden. Da überrascht es nicht, daß hier sowohl sitzende als auch gehende Formen unterrichtet werden. Hayashizaki Shigenobu (1546 - 1621) hat diese Schwertformen entwickelt. Es heißt, daß er nach einer 100 tägigen Meditation im Traum eine Vision dieser Schwertformen hatte. Der Kern davon ist, daß das Schwert seine tödliche Bedrohung schon entfaltet, wenn es noch in der Schwertscheide steckt. Es ist also ein ganz anderer Vorgang als der, den die meisten Filme und natürlich die rüstungbewehrten westlichen Ritter darstellen: Auf der einen Seite langdauernde Kämpfe mit gezogenem Schwert, die auch gut für Schaukämpfe taugten, auf der anderen ein Schwert, das, kaum daß es gezogen wird, auch schon wieder in der Schwertscheide verschwindet, weil im Ziehen auch schon der entscheidende Schnitt erfolgt.

Okuden bedeutet also auch, den richtigen Augenblick zu finden und mit einem oder zwei Schnitten je Gegner den Kampf zu beenden. Dieser Regel sind allerdings auch die neueren Formen des Iaido gefolgt, nur durchbrochen, wenn der Kampf mit einer Abwehr oder einem Ausweichen beginnt.

Die acht sitzenden Formen des Okuden stellen spezielle Situationen dar, z.B. sitzender gegen stehenden Gegner, räumlich eingeengte Bewegungsfreiheit, sowie Abläufe, die im zweiten Teil des Okuden bzw. im Seitei Iaido im Stehen beginnen.

Auch hier ist die spezielle Samurai Sitzhaltung „Tate Hiza“ , bei der das linke Knie abgelegt ist und der rechte Fuß aufgestellt. Dabei sind allerlei Variationen im Ablauf möglich, je nachdem, wo und wie weit entfernt man sich den Gegner vorstellt. Okuden bedeutet also, die vorgegebene Form auch zu variieren und damit die eigenen Aktionsmöglichkeiten wesentlich zu erweitern.

Bei den im Stehen beginnenden Formen ist das noch ausgeprägter, man kann den Gegner variieren, je nachdem, ob er wegläuft oder angreift, ob er hier oder da steht, nah oder weiter weg ist kann die Grundform verändert werden. Das ergibt eine ziemliche Fülle an sehr unterschiedlichen Bewegungsabläufen, die zudem sehr schnell und flüssig sein dürfen.

Diese zwölf Kata des Okuden erzählen kurze, veränderbare Geschichten, man kann sie fast wie Theateraufführungen üben, wenn man möchte. Sie sind ein sehr ernsthaftes „Spiel“.

Die Interpretation des Iaido als einer Selbstverteidigung ist generell nicht so einfach wie z.B. beim Karate, wo man einen Angriff blocken kann oder ihm ausweichen und dann kontern oder auch nicht. Das Schwert ist eine tödliche Waffe, zieht der andere zuerst, kann es mein Ende bedeuten. Die wenigsten Iaido Formen beginnen mit einer Abwehr. Es geht also eher darum, die Angriffsabsicht des Gegners zu erkennen, bevor er sie ausführt und ihm mit dem eigenen Angriff zuvorzukommen. Das ist, da im Iaido ohne Gegner geübt wird, ein gutes Stück mentaler Arbeit.

Der Schwertweg fördert die Harmonie von mentaler und physischer Bewegung mit der Führung des Schwertes, „ki ken tai ichi“ nennen es die Japaner: Einheit von Geist, Körper und Schwert. Entsteht  diese Einheit, dann erlebt man das auf allen Ebenen sehr intensiv und beglückend. Mit der Energie und Kraft daraus ist auch für den Alltag die Möglichkeit näher gerückt, mühelos und mit klarem Geist zu leben.

Muso Shinden Ryu ist also ein „Do“, ein Weg, sich selbst zu entwickeln.

Zum Muso Shinden Ryu gehören auch Partnerübungen mit dem Holzschwert Bokken: Das Kumitachi